Pak Kyongni-Literaturpreis an Bernhard Schlink

Bernhard-Schlink, Foto: Hans Weingartz

Bernhard Schlink wird mit dem Pak Kyongni-Literaturpreis 2014 ausgezeichnet. Er wird den Preis am 25. Oktober 2014 in Wonju, Südkorea, entgegennehmen. Die Pak Kyongni Toji Cultural Foundation (http://www.tojicf.org/) vergibt seit 2011 jährlich den Pak Kyongni-Literaturpreis. Namensgeber der Foundation ist die koreanische Schriftstellerin Pak Kyongni (1926-2008), die Autorin des Buches „Land. Eine koreanische Familiensaga“. Der Preis ist mit umgerechnet ca. 70 000 Euro dotiert.

DeLiDi gratuliert Bernhard Schlink ganz herzlich zu dieser Auszeichnung.

Interview mit Ingo Schulze anlässlich seiner Auszeichnung mit dem Manhae-Literatur-Preis

DeLiDi: Sie haben hier in Korea am 11. August 2013 einen der drei Manhae-Preise in der Kategorie Literatur entgegen genommen. Dazu gratulieren wir Ihnen von ganzem Herzen. Was bedeutet der Manhae-Literatur-Preis für Sie als Schriftsteller?

Ingo Schulze: Ich freue mich sehr darüber, gerade weil mir diese frohe Botschaft lange so unwirklich erschien. Jede und jeder braucht Anerkennung, dann arbeitet es sich leichter weiter. Der Preis hilft ganz praktisch im Alltagsleben. In gewisser Weise bedeutet er für mich auch geschenkte Zeit. Bei diesem Preis profitiere ich persönlich von der Wertschätzung der deutschen Literatur in Korea im allgemeinen. Einen Preis im Ausland zu bekommen heißt aber auch immer: ich verdanke ihn nicht nur denjenigen, die mich ausgewählt haben, sondern ich verdanke ihn besonders meiner Übersetzerin Seoni Noh, die vier Bücher von mir ins Koreanische übertragen hat, darunter auch „Neue Leben“. Für mich grenzt es schon immer an ein Wunder, wenn man in einer anderen Sprache „verstanden“ wird.

Ingo Schulze im Kreise der DeLiDi-Gründer

Ingo Schulze im Kreise der DeLiDi-Gründer Prof. Dr. Seo Jang-Weon und Prof. Dr. Sabine Obermaier in der Festhalle in Inje

DeLiDi: In Ihrer Dankesrede deuteten Sie an, dass Sie sich im Vorfeld der Preisverleihung mit der Person Manhaes beschäftigt haben. Was haben Sie aus Ihrer Beschäftigung mit der Person Manhaes für Sie persönlich, das heißt auch für Sie als Schriftsteller, für Sie als politischer Mensch gewonnen?

Ingo Schulze: Es gibt ja leider nur sehr wenige Gedichte von ihm auf Deutsch. Die wenigen aber, die ich kenne, finde ich sehr gut. Ich würde gern mehr von ihm lesen, auch wenn es nichts schadet, diese wenigen immer wieder zu lesen. Da ist für die deutsche Sprache wirklich noch ein internationaler Klassiker zu entdecken. Was er in den Zwanziger Jahren schreibt, braucht keinen Vergleich zu scheuen. Dabei entgehen mir und wahrscheinlich den meisten deutschsprachigen Lesern wichtige Ebenen, die für diejenigen, die mit der Welt des Buddhismus vertraut sind, beim Lesen gegenwärtig sind. Das Gute aber ist, man muß nichts davon wissen. Es funktioniert trotzdem. Hinzu kommt seine Bedeutung für die koreanische Literatur wie auch seine Vielseitigkeit. Seine Schriften zum Buddhismus, sein soziales Engagement und nicht zuletzt sein gewaltloser Widerstand gegen die japanische Besatzung machen alle Preisträger zu Kolleginnen und Kollegen von ihm, nicht nur die Schriftsteller.

DeLiDi: Was Koreanerinnen und Koreaner an Ihren Texten besonders interessiert, sind die Themen des ‚geteilten Deutschlands‘ und der ‚Wiedervereinigung‘. Was lässt sich Ihrer Meinung nach die Situation Koreas mit der Situation, wie wir sie in Deutschland hatten und haben, vergleichen? Wo sehen Sie Unterschiede?

Ingo Schulze: Ich fände es vermessen, wollte ich etwas zu dem Verhältnis zwischen Süd- und Nordkorea sagen. Meiner Ansicht nach gibt es da im Konkreten kaum Berührungspunkte zu den vergangenen deutschen Verhältnissen. In Korea ist die Trennung viel härter, sie ist eben auch aus einem Bürgerkrieg hervorgegangen. Man weiß letztlich sehr viel weniger übereinander, als es die Deutschen wussten, die ja doch auch den persönlichen Austausch in einem gewissen Umfang hatten. Dabei könnte es durchaus sein, dass sich die Lage im Norden ganz schnell ändert und eine Situation wie am Ende der DDR entsteht. Im Frühjahr 1989 hat ja auch kaum jemand an ein ungeteiltes Deutschland gedacht, ich zu allerletzt. Sollte so eine Situation eintreten, dann kann es nur Hilfe geben, eine Hilfe, die nicht an Bedingungen geknüpft ist, bis auf jene, dass diese Hilfe ankommt. Dann sollte man zuhören und versuchen, Zeit zu gewinnen. Ich denke aber auch, dass politische Tabus in der südkoreanischen Gesellschaft schon jetzt aufgehoben werden können, ja unbedingt sollten. Es ist offenbar immer noch verboten, die nördlichen Radio- bzw. Fernsehprogramme zu sehen, was wohl auch technisch nicht möglich ist. Aber auch in der eigenen Geschichte gibt es vieles, über das nicht gesprochen wird. Dafür die angemessenen Worte zu finden, wäre wohl die beste Vorbereitung auf eine Vereinigung, die nicht in einem Beitritt stecken bleibt.

DeLiDi: Hat Ihre Beschäftigung mit der koreanischen Geschichte Ihren Blick auf die deutsch-deutsche Geschichte verändert?

Ingo Schulze: So schlimm es im Einzelfall immer gewesen ist, verglichen mit Korea hatten wir noch eine Art Luxus-Variante der Trennung. Die Familien, die vor sechzig Jahren in Korea auseinandergerissen worden sind, hatten ja nie wieder die Chance, einander zu schreiben, geschweige denn einander zu hören oder zu sehen. Wahrscheinlich war es nicht mal zu Stalins Zeiten so schlimm in der DDR, wie es jetzt noch in Nordkorea ist.

DeLiDi: Was hat Sie an Ihrem Aufenthalt in Korea am meisten beeindruckt?

Ingo Schulze: Ich genieße die Freundlichkeit der Menschen und ihr Interesse. Das Essen ist wesentlich gesünder als bei uns und ich mag es, wie man sich um seinen Tischnachbarn kümmert. Und jeder Koreaner scheint sich nach dem Essen sofort die Zähne zu putzen. Eine öffentliche Toilette kann man überall in der Stadt ohne Bedenken benutzen. Mir war auch lange Zeit nicht bewußt, was für eine enorm reiche und alte Kultur dieses Land hat. Wenn man ins Nationalmuseum geht – was man dort zu sehen bekommt, ist wirklich großartig. Blickt man heute über Seoul, über diese 22 Millionen Stadt, ist das ein Gefühl, als seien alle deutschen Großstädte hier an einem Ort nach 1960 gebaut worden. Es ist schon enorm, was aus diesem armen kaputten Land in den letzten Jahrzehnten entstanden ist. Wofür aber Europa letztlich zwei Jahrhunderte hatte, passiert hier in dreißig, vierzig Jahren. Die Veränderungen müssen für den Einzelnen wie für die Gesellschaft radikal sein. Es hat diese Gesellschaft sehr schnell polarisiert in diejenigen, die viel haben und diejenigen, die kaum etwas ihr eigen nennen können.

DeLiDi: Und wir sind natürlich neugierig: Werden Sie etwas, das Ihnen bei Ihrem Aufenthalt in Korea begegnet ist, literarisch verarbeiten?

Ingo Schulze: Da habe ich noch keine Antwort, so etwas braucht ja immer Zeit. Indirekt fließt immer etwas ein, weil jede Reise den eigenen Blick verändert. Es ist ja immer der Moment der Rückkehr, wenn man plötzlich die Dinge doch etwas verändert sieht. Aber womöglich ergibt sich noch darüber hinaus etwas.

DeLiDi: Herr Schulze, wir danken Ihnen ganz herzlich für dieses offene Gespräch.

 

Die Fragen für DeLiDi stellte Frau Prof. Dr. Sabine Obermaier.

Lesung und Gespräch mit Ingo Schulze

Freitag, 9.8.2013, 19.00 Uhr
Goethe-Institut Seoul, Vortragssaal

Am 11. August 2013 wird Ingo Schulze den Manhae-Preis in der Kategorie Literatur entgegen nehmen (siehe unseren Eintrag zur Preisverleihung). Die Gesellschaft für Deutsche Literatur im Dialog (DeLiDi), die Ingo Schulze im vergangenen Jahr als Preisträger vorgeschlagen hatte, hat daher – in Kooperation mit dem Goethe-Institut in Seoul – im Vorfeld der Preisverleihung mit dem Autor eine Lesung und ein Gespräch veranstaltet.

Lesung

Lesung

Lesung aus „Adam und Evelyn“

Im ersten Teil der Veranstaltung hat Ingo Schulze Auszüge aus seinem neusten Roman „Adam und Evelyn“ gelesen. Die Lesung fand zweisprachig statt: Während Ingo Schulze ausgewählte Kapitel auf Deutsch vorlas, wurde die kongeniale koreanische Übersetzung von Frau Seoni Noh eingeblendet, und während Herr Meng Oan-Ho ausgewählte Kapitel aus der koreanischen Übersetzung vortrug, konnte man den deutschen Originaltext per Projektion mitverfolgen.

 

Gespräch

Gespräch

Gespräch: „Wiedervereinigung oder Beitritt? – Und was macht die Literatur?“

Im zweiten Teil der Veranstaltung diskutierte der emiritierte Professor Ahn Mun-Yeong von der Chungnam National University in Sejong mit Ingo Schulze über das Thema „Wiedervereinigung oder Beitritt? – Und was macht die Literatur?“.


Im Anschluss fand eine rege Diskussion mit dem Publikum statt.

 

Manhae-Literatur-Preis an Ingo Schulze

Ingo Schulze bei der Preisverleihung

Ingo Schulze bei der Preisverleihung

 

Am 11. August 2013 hat Ingo Schulze in Inje, Südkorea, einen der drei Manhae-Preise in der Kategorie Literatur entgegen genommen. Der Preis ist mit umgerechnet ca. 20 000 Euro dotiert. Zusammen mit Ingo Schulze wurden auch die koreanische Sängerin und Professorin Ahn Sook-Sun und der russische Philosoph und Dichter Konstantin Kedrov ausgezeichnet. Die Preise in der Kategorie Frieden wurden verliehen an den türkischen Denker, Pädagogen und Friedensaktiven Fethulah Gülen, an den Bischof der Anglikanischen Kirche von Korea Kim Seong-Su und an die Vereinigung „World Fellowship of Buddhists (WFB), die ihren Hauptsitz in Thailand hat. In der Kategorie „Practice“ wurden der Dichter und Erzähler Dagon Taryar aus Myanmar, der marokkanische Schriftsteller, Wissenschaftler und Literaturkritiker Abderrahim El Allam sowie der buddhistische Priester und Direktor der Life Share Association Hwang Il-Myeon ausgezeichnet.

Ingo Schulze mit den anderen Preisträgern

Ingo Schulze mit den anderen Preisträgern

 

Ingo Schulze mit Professor Seo am Manhae-Denkmal in Baekdamsa

Die 1996 gegründete Manhae-Stiftung pflegt das Andenken an den buddhistischen Mönch und Dichter Manhae (Han Yon-un, 1879-1944), Mitunterzeichner der koreanischen Unabhängigkeitserklärung von 1919 (1. März-Bewegung). Seit 2006 zeichnet die Stiftung einmal pro Jahr Personen des öffentlichen Lebens aus, die sich in den Kategorien Frieden, Handeln und Literatur im Sinne Manhaes für Freiheit, Gleichheit und gewaltlosen Widerstand einsetzen. Auf seinem Weg von Seoul nach Inje hat Ingo Schulze gemeinsam mit Prof. Dr. Seo Jang-Weon, dem Vorsitzenden der DeLiDi, den Tempel Baekdamsa besucht, in dem Manhae mit 26 Jahren zum buddhistischen Mönch geweiht wurde.

Der Preis

Der Preis

Die deutsch-koreanische Gesellschaft für „Deutsche Literatur im Dialog (DeLiDi)“ hatte die Ehre, Ingo Schulze für den diesjährigen Literatur-Preis vorzuschlagen. „Das Thema des geteilten Landes wie der Wiedervereinigung ist für uns Koreaner von großer Bedeutung“, sagt Professor Seo Jang-Weon, Vorsitzender der DeLiDi. „Ingo Schulze erzählt stilistisch virtuos, facettenreich und sehr sensibel vom Leben vor und nach der Teilung.“

„Wir brauchen Geschichten zum Leben“, so Ingo Schulze in seinem Dankesbrief, welche die Manhae-Foundation auf ihrer englischsprachigen Webseite veröffentlicht hat. Froh sei er, dass ihm der Preis die Augen für Manhaes Lebensleistung geöffnet habe, und er danke den Übersetzern, die den Austausch zwischen den Kulturen überhaupt erst ermöglichen.

 

DeLiDi gratuliert Ingo Schulze ganz herzlichen zu diesem Erfolg!

 

Zum Aufenthalt von Ingo Schulze in Korea siehe auch das Interview, das DeLiDi mit dem Autor geführt hat.

Erste Pressestimmen zur Preisverleihung:

 

 

 

 

 

 

 

Erinnerung als Zwang

24.05.2013

Prof. Dr. Christoph Seifener (Korea University)

Erinnerung als Zwang. Peter Kurzecks Roman Vorabend

18:30, Raum 316B, College of Liberal Arts auf dem Campus der Korea University

Christoph Seifener bei DeLiDi

 

 

Manhae-Preis an Ingo Schulze auf Vorschlag von DeLiDi

Im vergangenen Jahr hatte DeLiDi die Ehre, der Manhae-Foundation einen Vorschlag für einen Preisträger in der Kategorie Literatur zu unterbreiten. DeLiDi hat im Dezember 2012 den deutschen Schriftsteller Ingo Schulze vorgeschlagen. Es freut uns, nun mitteilen zu können, dass am 1. März 2013 die Entscheidung zu Gunsten von Ingo Schulze gefallen ist. Wir gratulieren Ingo Schulze ganz herzlich zu dieser Auszeichnung und freuen uns mit ihm.

 

 

DeLiDi bei der AGT 2012

Die „Gesellschaft für Deutsche Literatur im Dialog“ hat sich auf der Asiatischen Germanistentagung 2012 in Beijing erstmals einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt.

DeLiDi bei der AGT 2012

Vorgestellt wurden die Ziele der Gesellschaft, die bisherigen Aktivitäten sowie eine Reihe von „Visionen“ für die Zukunft von DeLiDi. Hier unsere kleine DeLiDi-Präsentation bei der AGT (als PowerPoint-Präsentation).

Die Resonanz war fast durchgehend positiv. Insbesondere der Entwurf, ein Bindeglied zwischen Literatur-Interessierten, AutorInnen, ÜbersetzerInnen und LiteraturwissenschaftlerInnen herzustellen (wodurch sich die Gesellschaft von bereits etablierten Germanistenverbänden abgrenzt), stieß auf rege Zustimmung. In den sich an die Präsentation anschließenden Diskussionen und Gesprächen kam die Idee auf, statt größerer „Dialogzentren“, wie in der Präsentation vorgeschlagen, viele kleine Diskussionszirkel, geleitet von Interessierten, einzurichten, die über die Homepage miteinander vernetzt würden: „DeLiDi“ würde damit zu einem globalen (teil-)virtuellen Literatur-Salon. Erwogen wurde auch, statt Tagungen lieber kleine Gesprächskreise, aber auch Literatur-Festivals zu organisieren, womit die innovative Stoßrichtung der zwischen nicht-wissenschaftlichem und wissenschaftlichem Bereich angesiedelten Gesellschaft deutlicher sichtbar würde.

Zum Abschied von Hans Sahl

Hans Sahl und seine Exillyrik

von Jang-Weon Seo

Hans Sahl wurde 1902 in einer großbürgerlichen vermögenden Familie jüdischer Herkunft in Dresden geboren. Sein Großvater war Direktor einer Brauerei gewesen und sein Vater war Fabrikant in Berlin. Ab 1907 verbrachte er seine Kindheit und Jugend in Berlin. Er studierte Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft in München, Leipzig, Berlin und Breslau und promovierte 1924 in Kunstgeschichte. Nach seinem Studium wurde er prominenter Literatur- und Theaterkritiker in Berlin. 1933 musste er Deutschland verlassen.
Hans Sahl emigrierte erst über Prag (1933) in die Schweiz (1934), nach Frankreich, dann über Spanien und Portugal in die USA. In Frankreich beteiligte sich Sahl als Mitarbeiter am Tagebuch von Leopold Schwarzschild, einem Kampforgan des Widerstands. Er wurde 1939 in den Lagern Stade Colombe und Nervers in Frankreich als „feindlicher Ausländer“ interniert. Er flüchtete danach nach Marseilles. In Marseille gehörte Sahl 1940 zu den Mitarbeitern Varian Freys, der dort im Auftrage des Emergency Rescue-Committees deutsche Flüchtlinge nach Amerika brachte. 1941 entkam er in die USA. 1942 erschien sein Gedichtband Die hellen Nächte in New York, welcher seine Flucht aus Frankreich von 1940 bis 1941 behandelte.

Exil

Es ist so gar nichts mehr dazu zu sagen.
Der Staub verweht.
Ich habe meinen Kragen hochgeschlagen.
Es ist schon spät.

Die Winde kreischt. Sie haben ihn begraben.
Es ist so gar nichts mehr dazu zu sagen.
Zu spät.

Hans Sahl war jüdischer Deutscher, besaß also eine doppelte Zugehörigkeit. Er hatte einmal in einem Brief sogar vorgebracht, dass „die Deutschen die Juden und die Juden die Deutschen erfunden“ hätten. Bis zu den Moskauer Prozessen bezeichnete er sich als Kommunist, danach wandte er sich davon ab, womit auch eine spätere Rückkehr in die DDR nicht in Frage kam. Hans Sahl war inzwischen ein amerikanischer Bürger geworden und er wurde in New York heimisch. Er lebte jedoch in New York unter schwierigsten Bedingungen und war vom Schicksal hart getroffen.
Hans Sahl gehört zu jenen Emigranten, die nach dem Kriegsende eigentlich nicht nach Deutschland zurückgekehrt sind. Erst spät ist er endgültig nach Deutschland zurück und ist dann auch hier gestorben. Das Ende des Krieges war für Sahl nicht das Ende der Emigration. Er war nach dem Zweiten Weltkrieg dreimal nach Deutschland zurückgekehrt und ging zweimal nach New York zurück. Seine erste Rückreise nach Deutschland trat Sahl 1949 an.

Das Land unter dem Mond

Ich denke oft an ein Land unter dem Mond,
da saß man zu Tisch und schnitt das Brot,
und dann kam eine große Hungersnot,
und der Mond ging unter und um ging der Tod.

Erinnerungen an Erinnerungen schreiben sich schwer,
wie ich zu Deutschland stehe, ich weiß es nicht mehr. . .
Gras wuchert über den Schienenspuren,
die meine Brüder in die Vernichtung fuhren.

Doch ich denke oft an das Land unter dem Mond,
wo ich einmal lebte und niemand mehr wohnt.

In einer Mondnacht kam Hans Sahl in Das Land unter dem Mond zurück. Deutschland lag zu dieser Zeit in Sahls Auffassung „unter dem Mond“. Er befand sich in einer irrealen Welt. Sahl traf in seiner aufgesuchten Heimat Deutschland auf eine Art falsche Idylle. Es war, als ob kein Mensch sich nach Deutschland verirrt hätte. Er fühlte sich entfremdet vom Heimatland. In der Realität kam er nach Deutschland zurück, aber in das Land seiner Erinnerungen konnte Sahl nur in seinen Gedanken zurückkehren
Zum zweiten Mal kehrte er in den fünfziger Jahren als Amerikaner mit einem Reisepass nach Deutschland zurück. Nach einem mehrjährigen Aufenthalt im westlichen Deutschland ging er wieder in die USA zurück. Sahl ist dann 1989 schließlich fast „zu spät“ nach Deutschland zurückgekehrt und blieb bis zu seinem Tod 1993 in Tübingen.
Hans Sahl kehrte als einer der Letzten und als Fragender nach Deutschland zurück, der seine Zeitgenossen sowie Nachgeborenen als seine Gesprächspartner nach Lösungen befragt. Er hatte somit etwas mitzuteilen über den Zustand seiner Zeit und des Menschen, wie er ihn gesehen hat.

Die Letzten

Wir sind die Letzten.
Fragt uns aus.
Wir sind zuständig.
Wir tragen den Zettelkasten
mit den Steckbriefen unserer Freunde
wie einen Buchladen vor uns her.
Forschungsinstitute bewerben sich
um Wäscherrechungen Verschollener,
Museen bewahren die Stichworte unserer Agonie
wie Reliquien unter Glas auf.
Wir, die wir unsere Zeit vertrödelten,
aus begreiflichen Gründen,
sind zu Trödlern des Unbegreiflichen geworden.
Unser Schicksal steht unter Denkmalschutz.
Unser bester Kunde ist das
schlechte Gewissen der Nachwelt.
Greift zu, bedient euch.
Wir sind die Letzten.
Fragt uns aus.
Wir sind zuständig.

In dieser Äußerung handelt es sich um den dringlichen Aufruf dazu, sich für das allgemeine Schicksal der Exilautoren zu interessieren. Als einer unter Den Letzten versucht Sahl einen neuen Ansatz zur Erforschung des Exils zu geben, und so auch in methodologischen und themenorientierten Fallstudien neue theoretische Konzepte zu entwickeln.
Als einer unter Den Zuständigen wendet Sahl sich mit diesen Gedanken an Zeitgenossen; er fordert unter anderem die Exilforscher auf, sich mit seiner Lebensgeschichte und seinem literarischen Schaffen „als Beispiel“ auseinanderzusetzen. Einer unter Den Wenigen wird zum Zuständigen für denjenigen, der sich nach der Exilliteratur erkundigt und seine Gesprächspartner nach Lösungen befragt. Damit setzt Sahl als einer Der Trödler des Unbegreiflichen noch in seiner Lebenszeit ein Zeichen. Die Darstellung der Exilliteratur beginnt durch die Exilanten selbst, welche „den Zettelkasten / mit den Steckbriefen [ihrer] Freunde / wie einen Buchladen vor [sich] her“ tragen. Durch „Museen“ und „Forschungsinstitute“ werden die Aufzeichnungen und Erinnerungen der Exilanten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, auch in dem Bewusstsein, das ein Interesse daran besteht. In seinem programmatischen Gedicht fordert Sahl seine Leser imperativisch ausdrücklich zu diesem Interesse auf.
Sahl wollte stets die Geschichte und die Wirklichkeit kritisch beobachten und wach bleiben. Er gab somit die Hoffnung nicht auf und wartete auf eine Welt „der Sauberkeit, der Ordnung, der Genauigkeit und der präzisen Verantwortung“, die das Chaos ablöst. Nach seiner endgültigen Rückkehr konnte Sahl spüren, dass ihm in Deutschland mit wachsender Anerkennung begegnet wurde. Im März 1993 schrieb Sahl sein letztes Gedicht:

Ich weiss, dass ich bald sterben werde
zu lange schon war ich auf dieser Welt zu Gast […]

Was bleibt von all dem, das ich tat und lebte?
Nur eine Kleinigkeit: Ein Mensch fand statt. […]

Fast schon so alt wie dieses, mein Jahrhundert
der Flammenmeere, Mörder, Folterungen,
der Volksverderber und der Volksverächter,
geliebt, gehaßt, gefürchtet und bewundert.

[…]
Ich weiss, dass ich bald sterben werde.
Ein Gast nimmt leise seinen Hut und geht.

Sahl nahm leise im April dieses Jahres in Deutschland seinen Hut und ging in eine andere Welt jenseits aller Ferne, als wäre er nie geflüchtet und zurückgekehrt.

Vorschau: DeLiDi bei der AGT in Beijing

Präsentation der deutsch-koreanischen Gesellschaft DeLiDi auf der Asiatischen Germanistentagung in Beijing (19.-24. August 2012)

Deutsche Literatur ist in Korea (aber auch in Japan und China) sehr beliebt. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass Koreaner (und vermutlich auch Japaner und Chinesen) deutsche Literatur anders lieben als Deutsche. Die im Jahr 2009 gegründete „Gesellschaft für Deutsche Literatur im Dialog“ (DeLiDi – Homepage: http://www.delidi.de) hat sich daher zum Ziel gesetzt, Literat/innen, Leser/innen und Wissenschaftler/innen der beiden Kulturkreise in einen Dialog zu bringen – in einen Dialog zwischen Menschen, die Literatur lieben, in einen Dialog zwischen den Kulturen sowie in einen Dialog zwischen Texten aus verschiedenen Gattungen, Zeiten und Räumen.

Im Rahmen dieser Präsentation möchte sich unsere Gesellschaft mit ihren Zielen, ihren bisherigen Aktivitäten sowie ihren Projekten für die Zukunft einer größeren Öffentlichkeit vorstellen und die TeilnehmerInnen der AGT zum Dialog einladen.

(Prof. Dr. Jang-Weon Seo, Korea University; Prof. Dr. Sabine Obermaier, Johannes Gutenberg-Universität Mainz)

Willkommen auf der neuen Homepage der DeLiDi!

Seit Dezember 2009 ist die DeLiDi, die Gesellschaft für Deutsche Literatur im Dialog, auch im Internet vertreten.